Ashtanga Yoga hat eine lange Tradition der persönlichen Weitergabe von Lehrer*innen an Schüler*innen (Parampara), deren erste Aufzeichnungen schätzungsweise mehrere Hundert Jahre alt sind. Die Wurzeln seiner heutigen Form entspringen der Schule von Sri T. Krishnamarchaya. Er war der Lehrer von Sri K. Pattabhi Jois, der ab 1937 in Mysore in Südindien Ashtanga Yoga in seiner heutigen Form geprägt und weltweit bekannt gemacht hat. In dem von ihm gegründeten Institut KPJAYI und in der Shala seines Enkels R. Sharath Jois lebt auch nach seinem Tod in 2009 die Tradition weiter und Ashtangis aus aller Welt reisen hierher um gemeinsam zu lernen und ihr Wissen in die Welt zu tragen.
Beginnt man Ashtanga Yoga zu lernen, kommt man an dem Begriff tristhāna nicht vorbei. Dieser Dreiklang aus Atmung, Bewegung und Blickrichtung ist die Grundlage für eine effektive Praxis.
Jeder einzelnen Bewegung in der Ashtanga Yoga Praxis ist ein Atemzug zugeordnet. Eine solche Einheit aus Ein- oder Ausatmung und Bewegung nennt man Vinyāsa. Das gesamte Ashtanga Yoga System basiert auf diesem Prinzip. Sri K. Pattabhi Jois beschreibt Ashtanga Yoga als „Breathing-Movement System”, was auch durch den Titel seines Buches „Yoga Mala” sehr schön illustriert wird. Die Atmung ist demnach die Schnur einer Mala, auf die Āsanas wie Perlen aufgezogen werden.
Die beiden wichtigsten Bandhas, sogenannte Energieverschlüsse, sind Uddiyana und Mula Bandha. Uddiyana Bandha bewirkt die Stabilisierung des unteren Bauches nach innen und oben, während Mula Bandha einem inneren Lift ähnelt, der sich am ehesten mit der Aktivierung der tiefen Beckenbodenmuskulatur beschreiben lässt. Die Bandhas bilden zusammen eine starke Körpermitte, die dem Fluss der Bewegungen gleichzeitig Stabilität und Leichtigkeit verleiht. Die Bandhas sind untrennbar mit der geführten Atmung verbunden.
Ein zusätzliches Werkzeug sind die sogenannten Drishtis, eine festgelegte Blickrichtung für jedes einzelne Vinyāsa. Das kann mal Richtung Nasenspitze sein, mal Richtung Nabel oder Stirn. Der Blick geht weich und diffus in diese Richtung, wie ein leichtes Schielen. Die Augen sind dabei passiv, schauen nicht wirklich, fühlen sich eher geschlossen an. Drishtis helfen dabei, fokussiert zu bleiben und die Balance zu halten. Die Augen wandern nicht im Raum umher und der Blick kann sich regelrecht nach innen versenken.
Essentiell für die Ashtanga Praxis ist eine Atemtechnik (breathing with sound), die oft irrtümlicherweise als Ujjayi Atmung bezeichnet wird. Es ist eine tiefe, aktiv geführte Art der Atmung, die den Impuls für jede Bewegung vorgibt. Anders als bei der natürlichen Atmung, bleibt der untere Bauch konstant eingezogen, sodass sich mit jeder Einatmung der Brustkorb hebt und weitet.
Die Atmung fließt großzügig und frei und ihr Klang ähnelt einem beruhigenden Meeresrauschen. Dabei wirkt sie wie ein inneres Feuer, das den Körper aufwärmt und ihn so beweglich und geschmeidig macht. Sie ist untrennbar mit der Aktivierung der Bandhas verbunden.
Āsana ist das Sanskrit Wort für Haltung, Sitz oder auch Übung. In der Ashtanga Yoga Praxis halten wir jede Āsana 5 Atemzüge lang. Die verschiedenen Serien des Ashtanga Yoga Systems sind aus festen Abfolgen von Āsanas aufgebaut, deren Reihenfolge vorgegeben ist. Vom Weg in eine Āsana hinein über die eigentliche Haltung (State of the Āsana) bis zum Weg hinaus, bzw. dem Übergang zur nächsten Āsana, ist eine feste Anzahl von Atemzügen und Bewegungen (Vinyāsa) festgelegt.
Prāna steht für die Körperenergie oder Lebensenergie. Um diese Energie effektiv für uns zu nutzen, arbeiten wir mit Werkzeugen wie den Bandhas, die helfen, diese Energie nach oben zu lenken und auch dort zu halten, was eine wärmende, energetisierende Wirkung hat.
Die Praxis des Prānāyāma, auch Atemkontrolle, aktiviert und reguliert die Energie im Körper über die bewusste Lenkung des Atemflusses (z.B. Ausdehnung oder Unterbrechung).
Das Yoga Sūtra des Patañjali ist eine über 2.000 Jahre alte indische Weisheitsschrift, die die philosophische Grundlage des Ashtanga Yoga bildet. Sogar der Name Ashtanga leitet sich hieraus ab. Denn in den Sūtren wird der Yogaweg als achtgliedriger Pfad beschrieben: acht Glieder – „aṣṭau aṅgāni” – aṣṭānga.
Diese Acht sind aufeinander aufbauende Stufen, die schrittweise zur Befreiung des Geistes führen. Die Āsanas, die wir im Westen meist mit Yoga gleichsetzen, machen dabei nur einen von acht Teilen des Gesamtpakets aus. Alle anderen Glieder reichen weit über den Mattenrand hinaus und in den Alltag hinein. Hier ein kurzer Überblick über alle acht:
Selbstkontrolle und Achtsamkeit im Umgang mit anderen Lebewesen
Selbstkontrolle und Hinterfragen des eigenen Lebensstils
Üben der verschiedenen Yogastellungen für mehr körperliche Disziplin
Regulierung der Körperenergie durch Atemkontrolle
Rückzug und Beherrschung der Sinne
Konzentration des Geistes auf einen Punkt
Meditation, die Unterbrechung aller Bewegungen des Geistes
Zustand absoluter Klarheit und Freiheit, Erleuchtung